„Tag der Deutschen Einheit“ in Kiel bleibt nicht unwidersprochen

Bündnis ruft unter dem Motto „Wut verbindet – Deutschland spaltet. Klassensolidarität statt Vaterland!“ zu Demonstration gegen die Einheitsfeier am 3.10.2019 in Kiel auf.

– Pressemitteilung –

Linke, antifaschistische, antirassistische und klimapolitische Initiativen rufen am 3. Oktober 2019 zu einer Demonstration gegen die zentralen Einheitsfeierlichkeiten in Kiel auf. Unter dem Motto „Wut verbindet – Deutschland spaltet. Klassensolidarität statt Vaterland!“ will das Bündnis gegen die Einheitsfeier 2019 sich um 11 Uhr am Hauptbahnhof (Hörnbrücke) versammeln und anschließend zum offiziellen Festakt der Einheitsfeier in der Sparkassenarena und über das Bürgerfest in der Kieler Innenstadt ziehen.

Mit der Demonstration soll eine Gegenerzählung zu der vermeintlichen Erfolgsgeschichte von der “friedlichen Wiedervereinigung” auf die Straße gebracht werden. Im Gegenteil wurde mit der Einverleibung der DDR und der wiedererstarkten Rolle der BRD in der Welt der Kapitalismus als alternativlos erklärt und die ungebremste Ausdehnung der Ausbeutung von Mensch und Natur vorangetrieben. Sandy Beinlich vom 3.10. Bündnis führt aus: „Nach der Einverleibung der DDR begann in Ostdeutschland ein sozialer Kahlschlag. Kollektives Eigentum wurde von der Treuhandanstalt an das westdeutsche Kapital zu Dumpingpreisen verkauft. Diese gezielte Deindustrialisierung ist der Grund für eine bis heute andauernde Massenarbeitslosigkeit, Armut, Strukturschwäche und Abwanderung im Osten Deutschlands“. Kim Yıldırım fügt hinzu: „Selbstorganisierte Arbeiter*innenkämpfe gegen die Schließung der Betriebe wie z.B. der Hungerstreik der Kali-Kumpel in Bischofferode 1993 bleiben in der westdeutschen Geschichtsschreibung genauso wie die Forderung nach umfassender Aufarbeitung der Treuhand-Verbrechen weitestgehen unbeachtet.“

Die im Zuge der “Wende” proklamierte Alternativlosigkeit zum Kapitalismus bewertet das Bündnis als Voraussetzung der anschließenden Durchsetzung eines autoritären Neoliberalismus in der Gesamt-BRD, die mit dem Sozialkahlschlagsprogramm Agenda 2010 der rot-grünen Bundesregierung im Jahre 2003 ihren Höhepunkt fand. „Statt für versprochene blühende Landschaften war die “Wende” Ausgangspunkt für einen deregulierten Niedriglohnsektor und eine immer weiter auseinander klaffende Schere zwischen Arm und Reich. Insbesondere hat dies Menschen aus den deindustrialisierten Regionen im Osten getroffen. Wir wollen ein gutes Leben für alle, deshalb muss HartzIV weg, Leiharbeit verboten werden und der Mindestlohn rauf!“ konkretisiert Beinlich die Position des Bündnis.

Die politisch herbeigeführte Misere insbesondere in den “Neuen Bundesländern” ist Nährboden für Nationalist*innen, Faschist*innen und andere reaktionäre Tendenzen. Yıldırım erläutert: „In dem Klima der Alternativlosigkeit konnten sich rechte Kräfte radikalisieren und in den ostdeutschen Regionen in besonderem Maße verfestigen. Dies hat zur Folge, dass die Wut und Frustration regelmäßig nach unten kanalisiert wird, vor allem gegen Migrant*innen und Geflüchtete. Der Pedigamob und die Wahlerfolge der AfD bis hin zu den Nazi-Mörder*innen vom NSU sind Ausdruck dieses gewachsenen gesellschaftlichen Rechtsrucks.“

Außenpolitisch hat der Anschluss der DDR an die BRD unter neoliberalen Vorzeichen dazu geführt, dass Deutschland zum Hegemon in Europa aufsteigen konnte. Durch die Normalisierung von Kriegseinsätzen der Bundeswehr seit dem Angriff auf Jugoslawien 1999, Aufrüstung und Waffenlieferungen in Krisengebiete gehört die BRD zu den größten Gewinner*innen der weltweiten Ausbeutung. Durch das EU-Austeritätsregime unter deutscher Führung und dem verordneten Sparzwang wurden im Zuge der andauernden kapitalistischen Weltwirtschaftskrise insbesondere in Südeuropa unzählige Existenzen zerstört. Noch dramatischer geht es jenseits der Mauern der Festung Europa zu. Während bei den Einheitsfeierlichkeiten propagandistisch instrumentalisiert zwar regelmäßig der insgesamt 140 Toten an den Grenzen der DDR gedacht wird, sterben an den Mauern Europas monatlich 180 Menschen, die vor Krieg, Elend und Verfolgung fliehen müssen. Beinlich zufolge verdeutliche dies, dass „Mauern und Grenzen kein Merkmal des Sozialismus, sondern Ausdruck nationalstaatlicher Sicherung von Herrschaft sind. Mauertote, selbst in solch krassen Dimensionen wie tagtäglich an den EU-Außengrenzen, sind im hiesigen Mainstream nur dann ein Grund zur Empörung, wenn es sich um „deutsche Volksgenossen“ handelt und sich der bürgerliche Kapitalismus als Menschenfreund inszenieren kann“.

Zum Ziel der Demo erklärt Yıldırım: „Die deutschen Zustände von Ausbeutung, Prekarisierung, Abschottung, Krieg und Rechtsruck machen wütend. Die Wut all jener, die infolge der deutschen „Wiedervereinigung“ nichts zu Lachen haben, soll uns am 3.10. verbinden: Wir wollen am Tag der Propagandafeier die Leidtragenden der wiedererstarkten deutschen Nation sichtbar machen und gemeinsam auf die Straße tragen. Auch 30 Jahre nach der “Wende” halten wir daran fest: Es gibt kein Ende der Geschichte. Die zerstörerische Herrschaft des Kapitals muss gebrochen werden. Wir wollen blühende Landschaften für Alle, also nicht weniger als die klassenlose Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung.“